Brauchen wir ein Thema beim Geschichtenerzählen?

Brauchen wir ein Thema beim Geschichtenerzählen?

Es geht mal wieder ums Geschichtenerzählen mit Kindern und Jugendlichen. Völlig egal, ob als Schulprojekt oder als Workshop in der kulturellen Bildung. Die erste Frage ist immer: Welches Thema nehmen wir? Aber brauchen wir wirklich ein Thema? Oder schränken wir damit die Kreativität von Kindern und Jugendlichen ein?

Geschichtenerzählen mit Kindern und Jugendlichen

Wann erzählen Kinder und Jugendliche Geschichten?

Nun ja, eigentlich erzählen sie immerzu Geschichten, denn das gehört zum Menschsein dazu. Hier geht es aber ums schriftliche Erzählen, also darum, dass Kinder und Jugendliche eine Geschichte aufschreiben. Und zwar nicht nur für sich selbst (z.B. in Tagebuchform), sondern für ein Publikum.

Wir alle kennen die Situation im Deutschunterricht: Die Lehrperson gibt ein Thema vor, die SchülerInnen schreiben dazu einen Aufsatz und am Ende gibt es eine Bewertung. Im Idealfall haben die SchülerInnen das Thema getroffen und werden dafür bei der Benotung belohnt.

Aber es gibt auch die Geschichtenwerkstätten in der kulturellen Bildung. Meist werden sie als ein- oder mehrtägige Projekte von KinderbuchautorInnen in Schulen, Bibliotheken, Museen, Jugendfreizeiteinrichtungen und bei Ferienfreizeiten durchgeführt. Dabei gibt es unterschiedliche Formen: kreative Schreibwerkstätten, Comic-Workshops und einige mehr. Hier kann es Themenvorgaben geben, das muss aber nicht immer so sein.

Und nicht zuletzt gibt es Kinder und Jugendliche, die ganz aus freien Stücken Geschichten aufschreiben, einfach weil sie Spaß daran haben. Im Netz gibt es dazu Foren und Plattformen wie z.B. Wattpad, wo sie sich Anregung und Feedback holen oder Gleichgesinnte finden können. Oft kommen auch Kinder in die kreativen Schreibwerkstätten und bringen bereits angefangene oder fertige Geschichten mit.

Warum gibt es Themenvorgaben?

In der Schule gibt es viele gute Gründe, warum ein Thema vorgegeben wird.

  • Die SchülerInnen erhalten damit einen Rahmen und eine konkrete Aufgabe. Längst nicht alle Kinder und Jugendlichen können auf Anhieb ein freies Thema finden, zu dem sie schreiben wollen. Nachteil: Je seltener sie frei erzählen, desto weniger fällt ihnen auch dazu ein und desto weniger trauen sie sich zu.
  • SchülerInnen sollen lernen, ein Thema gezielt zu behandeln, mehrere Aspekte zum Thema zu erarbeiten und nicht abschweifen. Das trifft natürlich vor allem für Sachthemen und weniger fürs kreative Schreiben zu.
  • Wenn alle zu einem Thema schreiben, sind die Texte wesentlich leichter zu vergleichen und zu bewerten.

In der kulturellen Bildung gibt es auch gute Gründe für die Vorgabe eines Themas:

  • Die Einrichtung verfolgt ein bestimmtes Ziel mit dem Projekt und möchte über das Thema in diese Richtung leiten.
  • Die Förderinstitution möchte wissen, was in dem Workshop passieren soll. Im Förderantrag soll ein Thema angegeben werden.
  • Das Thema soll die Kinder und Jugendlichen ansprechen und im besten Fall dazu führen, dass sie sich für das Projekt anmelden.

Braucht man überhaupt ein Thema?

Ja, natürlich! Eine Geschichte soll etwas erzählen und dazu muss sie in sich schlüssig sein und mindestens ein Thema behandeln. Niemand will zusammenhanglose Sätze lesen. Die Frage, die ich hier stelle, lautet also: Ist es besser, wenn ein Thema vorgegeben wird oder sollen die Kinder und Jugendliche sich selbst ein Thema ausdenken?

Erfahrungen aus der Projektarbeit mit Kindern und Jugendlichen

"Und dann habe ich gemerkt, dass ich hier mein eigenes Ding machen darf."

Dieser Satz fiel 2018, bei der Abschlussveranstaltung der Bilder-Schreibwerkstatt im Rahmen der Sommerferienspiele in Erkelenz. Der 14-Jährige, der ihn bei der Präsentation seiner Geschichte sagte, fügte noch mit strahlender Energie hinzu: "Als ich das begriffen habe, habe ich richtig losgelegt!"

Mich hat dieser Moment sehr geprägt, denn ich habe begriffen, dass dieser Jugendliche nur dann aktiv wird und seine kreativen Energien freisetzt, wenn er sich ohne Vorgaben ausdrücken kann. Und genau diese Situation fand er bei unserer Bilderschreibwerkstatt vor. Wir hatten wir kein Thema vorgegeben und waren personell extrem gut aufgestellt, die 16 Teilnehmenden wurden von vier Dozenten betreut und begleitet. Sie durften und konnten praktisch alle Ideen umsetzen. Ich habe selten so hochmotivierte Teilnehmende gehabt. Sie gaben alles, um ihre Story-Idee zu verwirklichen: Eine Teilnehmerin kam als Horrorclown verkleidet und lief durch die Innenstadt von Erkelenz, eine andere schminkte sich Wunden und traute sich damit ins Krankenhaus, der eben zitierte Vierzehnjährige trug in der Öffentlichkeit eine Vendetta-Maske. Mutprobe inbegriffen.

Gespräche mit Lehrpersonen

Bei den Absprachen für meine digitalen Comic-Workshops komme ich oft mit LehrerInnen ins Gespräch und wir tauschen unsere Erfahrungen aus. Neulich ging es um die Frage, ob wir für den Workshop in einer Schule ein Thema brauchen.

Ich erzählte, dass die älteren Kinder und die Jugendlichen sich oft nicht für die Themen interessieren, die in den Workshops vorgegeben werden. Deshalb würde ich es gerne offenlassen, zu welchem Thema die Comics gestaltet werden. Die Kunstlehrerin horchte auf und lachte. “Ja, ich habe auch gerade bei den Siebtklässlern das Thema Comics im Unterricht behandelt. Ich hatte mir Mühe gemacht und einige Themen ausgedacht, aber die Siebtklässler haben sich gar nicht für meine Themen interessiert.”

So oder so ähnlich laufen viele dieser Gespräche statt. Gerade wenn es um Jugendliche geht, ist es gar nicht so einfach ein Thema zu finden, das sie interessiert und das auch alle gleichermaßen interessiert. Hinzu kommt dann noch die Rebellion gegen Vorgaben aller Art, die für Jugendliche in diesem Alter typisch ist. Sprich: Das Thema würde sie vielleicht interessieren, aber es wird schon deshalb nicht gerne angenommen, weil es vorgegeben ist.

Aus meinen digitalen Comic-Workshops

Tatsächlich haben die Teilnehmenden in meinen Workshops immer jede Menge eigene Ideen, worüber sie erzählen wollen. Meist ist es sogar so, dass sie geradezu lossprudeln, wenn sie merken, dass es keine verbindliche Themenvorgabe gibt. Ich bin dann jedes Mal erstaunt, was ihnen alles einfällt und welche Themen sie wählen. Darauf wäre ich ja selbst niemals gekommen! Einige dieser Themen hätte ich mich auch niemals getraut, vorzugeben, denn manchmal werden heikle oder philosophische Themen wie Tod, Krankheit, Adoption oder Unsterblichkeit aufgegriffen.

Die eigene Themenwahl hat aus meiner Sicht aber auch noch weitere Vorteile: Ich erfahre so, was die Kinder und Jugendlichen wirklich beschäftigt und komme ganz leicht mit ihnen ins Gespräch. Während wir gemeinsam an der Comic-Geschichte arbeiten, stelle ich natürlich viele Fragen. Ich muss ja alles verstehen und ich möchte auch wissen, warum sie genau diese Geschichten erzählen wollen. Das geht dann oft sehr tief und es passiert, dass sie erst über diese Gespräche zu dem Punkt kommen, an dem sie verstehen, warum sie genau diese Geschichte erzählen wollen. Wir arbeiten uns also ins Unbewusste vor. Eine der normalen "Nebenwirkungen" beim Geschichtenerzählen. Natürlich erfordert diese Arbeit viel Vertrauen, denn beide Seiten müssen sich öffnen. Im kleinen Rahmen einer Ferienschreibwerkstatt mit acht Personen ist das sehr viel leichter als im Schulunterricht. Mir ist klar, dass das in der Schule nicht geleistet werden kann und SchülerInnen sich auch vor ihren KlassenkameradInnen nicht so öffnen wollen.

Ich habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass jüngere Kinder (3. und 4. Schuljahr) manchmal gerne eine Themenvorgabe haben, an die sie sich halten können. Für sie ist der Prozess des Erzählens oft einerseits leicht, weil sie sich viel zutrauen, andererseits aber auch schwer, weil sie noch nicht immer sicher schreiben und formulieren können. Da gibt das vorgegebene Thema Sicherheit.

Aus dieser Erfahrung heraus versuche ich mit den Veranstaltern ein Thema zu finden, dass möglichst offen ist. Beispiele:

  • In einem Kindertreff: "Ich gestalte meinen Traumraum digital"
  • In einer städtischen Ferienfreizeit: "Unsere Stadt"
  • In einer Bücherei: "Comics zwischen Büchern"
  • In einem Museum: "Sie leben! Comics digital"

Übrigens erfahre ich als Resonanz auf die Comic-Hefte immer wieder Sätze wie: "Mich erstaunt die Vielfalt der Themen." oder "Ich hätte nie gedacht, dass sich ein Kind mit so etwas beschäftigt." oder "Toll, dass der Comic-Band so vielfältig und jede Geschichte anders ist."

Erfahrungen von Kolleginnen

Im Vorfeld dieses Blogartikels habe ich mit einigen KollegInnen diskutiert und erfragt, ob sie ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Hier kommen ihre Antworten:

Andrea Behnke: "Ich leite Schreibwerkstätten und da ist oft seitens der Veranstalter ein Thema gewünscht. Ich suche extra immer Themen, die sehr offen sind. Und ich sage immer zu Beginn der Werkstatt, dass eigene Themen immer Vorrang haben. Denn es ist so, wie du sagst: Viele Kinder kommen schon mit ihren eigenen Ideen in die Werkstatt - da würde ich sie niemals ausbremsen. Ebenso gibt es aber auch Kinder, die froh sind über das Oberthema, als Impuls."

Birgit Hedemann: "Ich bin selber ganz gespannt, wie es mir damit im Sommer bei meinen Comic-Workshops ergehen wird. Meine Workshops finden überwiegend in Museen statt. Und die wollen in der Regel ein Thema, das irgendetwas mit der Ausstellung zu tun hat. Außerdem muss bei der Beantragung von Fördermitteln meist ein Thema angegeben werden. Ich habe aber darauf geachtet, wie auch Andrea Behnke schon geschrieben hat, dass das Thema sehr, sehr offen ist. Ein Museum ist dabei, das auf keinen Fall eine Vorgabe machen wollte. Ich zitiere die Museumsleiterin: "Ich bin selber sehr gespannt, was die Kinder in unserem Museum am spannendsten finden." Ich auch!"

Katharina Mauder: "Bei meinen Schreibwerkstätten mit älteren Grundschülern hatte ich schon das Gefühl, dass Themenvorschläge helfen. Wobei ich auch immer darauf achte, dass die Themen sehr offen, facettenreich und für die Kids spannend und inspirierend sind. Außerdem habe ich immer die Regel, dass konkretere Schreibimpulse nur Vorschläge sind und die Kinder auch über anderes schreiben können, das ihnen unter den Nägeln brennt oder einfach besser gefällt. Komplett ohne Vorgaben sind sie in dem Alter manchmal aber auch noch sehr in ihren Lieblingsserienwelten oder Ähnlichem verhaftet. Da kann ein bisschen Horizonterweiterung zuweilen auch nicht schaden – wenn sie Lust dazu haben! Wenn nicht, ist es auch gut. Dann brauchen sie das eben gerade. 😉"

Der Königsweg

scheint zu sein, dass man ein offenes Thema vorgibt und es nicht verbindlich macht, so dass sich auch Kinder und Jugendliche mit eigenen Themen ausdrücken können. Offenbar machen es viele Kinder- und JugenbuchautorInnen in der kulturellen Bildung so und es hat sich dort bewährt.

Interessant wäre zu wissen, ob auch LehrerInnen Erfahrung mit einer solchen Vorgehensweise haben und sie für praktikabel halten. Wenn du Lehrerin oder Lehrer bist, kommentiere doch gerne mal. Ich bin sehr gespannt.

Das Thema auf YouTube

 

 


ÜBER Die AUTORIN

Autor

Andrea Rings

Andrea Rings ist Biologin, Jugend- und Sachbuch-Autorin und Workshopleiterin. Sie führt seit 2016 Workshops mit Kindern und Jugendlichen durch: Kreative Schreibwerkstätten, digitale Comic-Workshops mit dem iPad, Tagtool, Stop-Motion und andere iPad-Workshops. Sie hat Easy Comics gegründet, um ihr Wissen und ihre Erfahrungen aus diesen Workshops weiterzugeben. Hier erfährst du mehr über Andrea Rings.

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