Kultur macht stark?

Kultur macht stark?

Bundes- und Landesprogramme in der kulturellen Bildung: Kann man davon leben?

Kulturelle Bildung soll Kinder und Jugendliche stärken. Ohne Förderung ist sie nicht denkbar, denn Bibliotheken, Museen und Jugendfreizeiteinrichtungen haben in der Regel keinen Etat, mit dem sie Angebote der kulturellen Bildung allein finanzieren können. Als Workshopleiterin in der kulturellen Bildung habe ich in den vergangenen acht Jahren rund 60 geförderte Workshops durchgeführt. Mir fällt aber auf, dass bisher keine dabei waren, die von einem Bundesprogramm gefördert wurden. Ich habe mich gefragt, warum diese Förderung bisher für mich nicht infrage kam.

Erst kürzlich wurde das Programm der Bibliotheken neu ausgeschrieben. Ruckzuck hatten wir die Kooperationsparter zusammen und beratschlagten in meinem Zoom-Raum: eine Jugendbibliothekarin, die Mitarbeiterin eines Bürgerbüros und die Leiterin eines Mädchentreffs. Wir hatten schnell eine Vision unseres Workshops, luden eine Manga-Künstlerin dazu ein und sie wollte gerne mitmachen. Aber dann stiegen wir tiefer in die Vorgaben des Programms ein, schnell kam die Ernüchterung: Unter diesen Bedingungen würden wir den Workshop nicht umsetzen können.

Grundsätzlich stellt sich mir die Frage: Sind diese Programme für diejenigen, die in der kulturellen Bildung tätig sind, tragfähig genug, um davon zu leben? In diesem Beitrag werden zwei Bundesprogramme und ein Landesprogramm genauer betrachtet. Anhand eines exemplarischen Falls einer Workshopleiterin werde ich die finanziellen Auswirkungen beleuchten.

Warum überhaupt kulturelle Bildung?

Kulturelle Bildung für Kinder und Jugendliche umfasst alle Aktivitäten und Prozesse, die dazu dienen, Kindern und Jugendlichen Zugang zu Kunst, Kultur und kreativen Ausdrucksformen zu ermöglichen. Kulturelle Bildung kann in verschiedenen Bereichen stattfinden, darunter Kunst, Musik, Theater, Literatur, Tanz und digitale Medien. Ihr Ziel ist es, kulturelle Teilhabe zu ermöglichen, kritisches Denken zu fördern, Empathie zu stärken und zur persönlichen Entfaltung sowie zur gesellschaftlichen Integration beizutragen. Veranstaltungen der kulturellen Jugendarbeit finden in der Regel freiwillig außerhalb der Schule statt. Insgesamt leistet kulturelle Bildung einen großen Beitrag zur ganzheitlichen Entwicklung junger Menschen und bereichert ihre Lebensqualität nachhaltig.

Für Institutionen wie Bibliotheken, Museen und Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen spielt kulturelle Bildung eine zentrale Rolle, da sie diesen Orten eine zusätzliche Dimension verleiht und ihr Angebot für Besucher vielfältiger gestaltet. Bibliotheken können z.B. durch kulturelle Bildungsprogramme Lesefreude und Medienkompetenz fördern. Museen haben die Möglichkeit, Geschichte, Kunst und Kultur durch interaktive Ausstellungen und Workshops erlebbar zu machen. Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen profitieren von kultureller Bildung, indem sie den jungen Besuchern einen kreativen Raum bieten.

Abschlussbild bei der digitalen Comic-Schreibwerkstatt "Bib2Comic" in in der Stadtbibliothek Mönchengladbach in den Sommerferien 2023, Foto: Barbara Schwinges
Abschlussbild bei der digitalen Comic-Schreibwerkstatt "Bib2Comic" in in der Stadtbibliothek Mönchengladbach in den Sommerferien 2023, Foto: Barbara Schwinges

Welche Rolle spielen die Workshopleitenden?

Die Rolle der Workshopleitenden ist von entscheidender Bedeutung für den Erfolg und die Wirksamkeit von Workshops in der kulturellen Bildung. Sie fungieren nicht nur als Vermittler:innen von Wissen und Fähigkeiten, sondern auch als Inspirationsquelle und Motivator:innen für die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen. Workshopleitende müssen in der Lage sein, eine unterstützende und kreative Lernumgebung zu schaffen, in der sich die Teilnehmenden wohl fühlen und ihre eigenen kreativen Potenziale entfalten können. Sie müssen über fundierte Kenntnisse und Fähigkeiten in ihrem Fachgebiet verfügen sowie pädagogische Kompetenzen besitzen, um die Bedürfnisse und Interessen der Teilnehmenden angemessen zu berücksichtigen.

Erwartet wird in der Regel, dass Workshopleitende eine künstlerische oder medienpädagogische Ausbildung haben oder im Fall von Autodidakten als Künstler:in/Autor:in anerkannt sind. Ich selbst bin Jugendbuchautorin und habe in Publikumsverlagen veröffentlicht. Kinder- und Jugendbuchautor:innen können nur in ganz seltenen Fällen von ihren Bucheinnahmen leben und finanzieren sich entweder über die Kombination mit einen Brotjob oder mit Lesungen und/oder Workshops.

Die Workshopleitenden sind involviert oder sogar maßgeblich federführend bei der Planung der Workshops. Sie sind verantwortlich für die praktische Durchführung, wobei sie i.d.R. die gesamte Detailplanung und Umsetzung übernehmen. Insgesamt leisten sie zahlreiche Aufgaben im Vorfeld, bei der Durchführung und Nachbearbeitung der Workshops.

Der Zeitbedarf für all diese Aufgaben ist enorm. Ich habe für diese Betrachtung die Stunden für einen fünftägigen Workshop ermittelt, die ich bei meinen digitalen Comic-Workshops benötigen würde, wenn mehrere Bündnispartner beteiligt wären. Dabei setze ich voraus, dass das grundsätzliche didaktische Konzept für den Workshop bereits steht und erprobt ist. Fahrtzeiten und weitergehende Nacharbeiten wie die Sicherung der Ergebnisse oder die Erstellung eines Comic-Heftes sind nicht enthalten. Hier die Schätzung:

  • Teilnahme an 1-2 Vernetzungstreffen: 2,5 Stunden
  • Planung, Kalkulation und Beteiligung an der Antragstellung: 3 Stunden
  • Pressetexte vorbereiten und abstimmen, Pressefoto liefern, Plakate und Flyer abstimmen: 2,5 Stunden
  • Abstimmung zur Durchführung des Workshops mit der durchführenden Institution: 1 Stunde
  • Präventionsschulung, Besprechung von Schutzkonzepten, Beantragung eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses: 1 Stunde (teilweise anteilig)
  • Didaktische Vor- und Nachbereitung Workshoptag, tägliche Reflexion mit den MA der Einrichtung, tägliche Sichtung der Geräte und Sicherung der Daten, Laden der Geräte, Aufbau und Abbau: 2 Stunden x 5 Tage= 10 Stunden
  • Vorbereitung der Abschlussveranstaltung: 2 Stunden
  • Texte für den Abschlussbericht, Abrechnung der Kosten und Rechnungsstellung: 3 Stunden
  • Abschließende Löschung der Daten und Säuberung der iPads: 2 Stunden

Zusammen sind das 27 Stunden.

Beispiel 1: Eine Workshopwoche im Programm „Gemeinsam Digital! Kreativ mit Medien“ vom Deutschen Bibliotheksverband e.V. (dbv)

Mit dem Programm „Gemeinsam Digital! Kreativ mit Medien“ fördert der Deutsche Bibliotheksverband e.V. (dbv) lokale Projekte der digitalen Leseförderung für Kinder und Jugendliche im Alter von drei bis 18 Jahren. Ziel ist es, insbesondere Kinder und Jugendliche, die in Risikolagen aufwachsen, zu erreichen und ihnen zusätzliche Bildungschancen zu eröffnen. Das Programm ist Teil der dritten Förderphase des Bundesprogramms „Kultur macht stark“ (2023-2027) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).

Ziel der Bundesprogramme im Rahmen von „Kultur macht stark“ ist u.a. eine Vernetzung lokaler Akteure von Bildung und Kultur. Es braucht immer drei Bündnispartner, wobei die durchführenden Kräfte, also die Workshopleitenden, nicht als Bündnispartner gelten. So können z.B. eine Bibliothek, ein Verein zur Förderung von Integration und ein Jugendtreff eine Kooperation eingehen und eine Workshop-Woche als Ferienangebot anbieten, die dann von einem Künstler/einer Künstlerin durchgeführt wird.

Im Fall von „Gemeinsam Digital! Kreativ mit Medien“ gibt es dafür ein Format mit insgesamt 34 Bildungsstunden. Als Beispiel wird folgende Aufteilung genannt: eine Projektwoche à 5 Tage à 6h, zzgl. zwei Termine je 2h für Informations- und Abschlussveranstaltung. Hier stellt sich mir natürlich erst mal die Frage, welches Kind Lust hat, in den Ferien an einer Projektwoche mit 34 Stunden teilzunehmen. Kulturelle Jugendarbeit soll freiwillig und im besten Fall keine Fortführung von Schule in den Ferien sein. Es ist also ohnehin schwierig, genug Teilnehmende für ein solches Projekt zu gewinnen. Hinzu kommt ein weiteres Problem: Aufgrund der Vielzahl der Stunden können die beiden vorgeschlagenen Termine für Informations- und Abschlussveranstaltung kaum noch in der gleichen Woche durchgeführt werden. Bei der Planung von Ferienangeboten ist man aber gut beraten, die Angebote wochenweise zu planen. Zum einen, weil Kinder und Jugendliche in den Ferien wochenweise in Urlaub fahren und der Kreis der potentiellen Teilnehmenden sich sofort verringert, wenn das Projekt wochenübergreifend ist. Zum anderen haben die durchführenden Künstler:innen nur diese wenigen Wochen im Jahr für Ferien-Angebote zur Verfügung und versuchen natürlich, eine Workshop-Woche auch wirklich innerhalb einer Woche durchzuführen. In der nächsten Woche findet ja womöglich schon das nächste Angebot statt. Dieses Problem kann man z.B. lösen, indem die durchführenden Künstler:innen nur 30 Stunden des Programms durchführen und die restlichen 4 Stunden vom Bibliotheks-Personal durchgeführt werden. Denkbar sind Bibliotheks-Führungen oder eine zusätzliche Präsentation, um die Stundenzahl zu erfüllen. Wird die im Programm geforderte Stundenzahl nicht erfüllt, muss man damit rechnen, dass die Förderung aus formalen Gründen abgelehnt wird. Eine individuell angepasste Planung an die Bedürfnisse und Gegebenheiten vor Ort wird damit schwierig.

Die Künstler:innen erhalten 75 € Brutto pro Bildungsstunde, also 2.250 € Brutto bei 30 Stunden Bildungsarbeit an 5 Tagen. Vor- und Nachbereitung wird nicht bezahlt. Fahrt- und Materialkosten lasse ich außen vor, um die Betrachtung nicht unnötig zu verkomplizieren.

Der Aufwand für Workshopleitende ist erheblich, auch weil durch die Vernetzung der lokalen Akteure drei Kooperationspartner plus Künstler:in Mitspracherecht haben und sich auf Absprachen einigen müssen. Aber auch der bürokratische Aufwand bei Antragstellung, Durchführung und Projektabschluss ist höher, als ich es aus anderen Programmen kenne. Der Zeitbedarf liegt möglicherweise höher als die zuvor geschätzten 27 Stunden.

Beispiel 2: MuseumsClub über 6 Monate im Programm „Museum macht stark“ vom Deutschen Museumsbund e.V.

Ziel der Projekte im Programm "Museum macht stark" ist es, Kinder und Jugendliche im Alter von 5 bis 18 Jahren, die von Hause aus nur wenig mit Kultur und Museum in Berührung kommen, mit den Angeboten von Museen vertraut zu machen. Der Museums-Club ist eine von mehreren Möglichkeiten, ein Angebot im Programm „Von uns – für uns! (Peer-Education)“ zu schaffen. Das Programm des Deutschen Museumsbundes erscheint zunächst einmal deutlich flexibler als das hier vorgestellte Workshop-Programm des dbv (Beispiel 1).

Der Deutsche Museumsbund fördert die lokalen Projekte mit bis zu 12.000 Euro. Auch hier ist eine Vernetzung von drei Kooperationspartnern plus Künstler:in/ Kulturpädagog:in Voraussetzung. Die finanziellen Rahmenvorgaben sind in verbindlichen Kalkulationsvorlagen festgelegt. Ebenso wie in Beispiel 1 werden nur die Bildungsstunden mit 75 € vergütet, darin sind die Umsatzsteuer von 19 % und alle Stunden für Vor- und Nachbereitung enthalten.

Hinter dem Programm „Von uns – für uns! (Peer-Education)“ steckt der Gedanke, dass ausgebildete Peer-Teamer ihr Wissen an Gleichaltrige, sogenannte Peers, weitergeben. Die Umsetzung des ambitionierten Formats gliedert sich in fünf Schritte, wobei im Kern die gewonnen Teilnehmenden fachlich ausgebildet werden (Stichworte: Museums-Workshop, Medien-Workshop, Erstellung Museumsportrait, Präsentations-Workshop, Tagesworkshop zu einem Spezialthema, Begleitung der Peers durchs Museum, öffentliche Präsentation). Außerdem erfolgt eine Auswertung auf der Ebene der Teilnehmenden. Für die konzeptionelle Vorbereitung der anspruchsvollen Workshops, die Abstimmungsprozesse mit den Kooperationspartnern und die umfangreiche Dokumentation wird den durchführenden Fachkräften kein Honorar gezahlt.

Der zeitliche Aufwand für Workshopleitende je Bildungsstunde ist mutmaßlich deutlich höher als in Beispiel 1, da jeder der einzelnen Workshops separat geplant und an die Gegebenheiten des Museums angepasst werden muss. Die Workshopleitenden können nicht ein bestehendes Workshop-Konzept durchführen, sondern müssen beispielsweise für die Module "Museums-Workshop" und "Museums-Portrait" jeweils ein eigenes didaktisches Konzept erarbeiten. Da ist es schwer, einen Zeitbedarf zu schätzen.

Beispiel 3: Landesprogramm „Kultur und Schule“ NRW

Ziel des Landesprogramms "Kultur und Schule" ist es  Künstler:innen und Kulturpädagog:innen zur Gestaltung von Projekten in die Schulen Nordrhein-Westfalens einzuladen. Die Projekte ergänzen das schulische Lernen und eröffnen den Kindern und Jugendlichen die Begegnung mit Kunst und Kultur, unabhängig von deren Herkunft und ihrem sozialen Status. Die Projekte finden in der Regel in 40 Einheiten à 90 Minuten über das ganze Schuljahr verteilt statt. Sie werden mit maximal 3.050 Euro gefördert. Die Koordination erfolgt über die Kulturämter der Städte, in meinem Fall das Kulturbüro der Stadt Mönchengladbach, die Antragstellung ist vergleichsweise einfach und es gibt auch keine umfangreichen Berichtspflichten.

Der zeitliche Aufwand ist deutlich geringer als bei den Beispielen 1 und 2, auch weil die Abstimmung nur mit der Schule erfolgen muss, wenn der Antrag einmal genehmigt wurde. Ich schätze ihn auf 30 Minuten je Bildungsstunde.

Unsere Muster-Workshopleiterin

Stellen wir uns eine Workshopleiterin vor, eine Kinderbuch-Autorin, die mit Workshops in der kulturellen Bildung ihr Einkommen sucht. Sie heißt Verena und es läuft nicht gut mit dem Kinderbuch-Dasein. Sie hat keinen aktuellen Buchvertrag und wird auch kaum für Lesungen gebucht. Also versucht sie über Workshops ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie war früher Lehrerin und ist richtig gut in Schreibworkshops. Sie kann gut mit iPads umgehen und bietet verschiedene Formate an. Die Kinder lieben sie, alle Bildungspartner sind begeistert von ihr. Sie ist umsatzsteuerpflichtig, weil ihre Einnahmen in den letzten beiden Jahren über 22.500 € lagen.

Sie kann zehn Workshops aus Beispiel 1 anbieten, je zwei in den Oster- und Herbstferien und sechs in den Sommerferien. In den Weihnachtferien finden keine Workshops statt und sind auch von den Einrichtungen nicht gewünscht. Verena hat großes Glück, alle Förderanträge werden positiv bescheidet, sie bleibt gesund und kann alle Workshops durchführen. Mit diesen zehn Workshops nimmt sie Brutto 22.500 € ein und setzt dafür 570 Arbeitsstunden ein. Nach Abzug der Umsatzsteuer von 19 % hat sie immerhin 18.225 € eingenommen.

Verena hat sich auch das Programm der Museen (Beispiel 2) angeschaut und dagegen entschieden, als sie erfuhr, dass eine liebe Kollegin bis zu 20 Stunden in der Woche für ihren Museums-Club aufwendet bei einer reinen Workshop-Zeit von 3 Stunden und ihr Honorar erst am Ende der sechs Monate in Rechnung stellen kann. Diese Bedingungen haben sie abgeschreckt.

Da sie aber mit dem Geld aus den Ferien-Workshops nicht auskommt, hat sie sich entschlossen, an dem Landesprogramm „Kultur und Schule“ NRW teilzunehmen und zusätzlich drei Projekte á 90 Minuten wöchentlich in einer Schule in der Nähe durchzuführen. Für diese Projekte ist sie 40 Wochen gebunden, je Projekt gibt es ein Brutto-Honorar von 3.050 €. Sie leistet dafür 180 Bildungsstunden und 90 Vor- und Nachbereitungsstunden. Auch hier hat Verena wieder Glück, die Projekte werden alle bewilligt. Sie kann jetzt nur noch in den Weihnachtsferien Urlaub machen, hat aber dafür das ganze Jahr zu tun.

In der Summe verdient Verena 31.600 Brutto, also 25.636,50 € nach Abzug der Umsatzsteuer. Dafür arbeitet sie in den 13 Projekten 540 Stunden. Nicht bezahlt werden außerdem Arbeitsstunden, die sie für die folgenden Tätigkeiten aufwendet, die aber im direkten Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Workshopleiterin stehen:

  • Projektplanungen, die letztlich nicht zu einem Projektantrag führen
  • Projektanträge, die negativ bescheidet werden
  • Beantwortung von Anfragen
  • Fortbildungen und Teilnahme an Bildungskonferenzen
  • Entwicklung neuer Workshopformate
  • Materialbeschaffung und Technikpflege
  • Vernetzungsarbeit
  • Eigene Öffentlichkeitsarbeit und Präsenz im Netz auf Webseite, Blog, Sozialen Medien etc.. Diese Präsenz ist wichtig, um neue Bildungspartner zu akquirieren

Von den 25.636,50 muss Verena zunächst ihre Kosten abziehen: Büromiete, Investitionen in Fahrzeug und Hardware, Softwarekosten, Steuerberater, Büromaterial, Versicherungen, Fortbildungen, Fachbücher, Telefon und Internet, GEZ-Gebühren usw. Sie ist jedes Jahr geschockt, welche Summe ihr Buchungsprogramm ausspuckt, im Mittel sind es 8.500 €.

Es bleiben 17.136,50 €, die zur Berechnung des Beitrags für die Künstlersozialkasse (Rentenversicherung 18,6 % = 3.170,25 €, Krankenversicherung 14,6 % = 2.501,93 €, Pflegeversicherung 3,4 % = 582,64 €) zugrunde gelegt werden. Verena hat Glück, dass sie in der KSK aufgenommen wurde, als sie gerade zwei Kinderbuch-Veröffentlichungen hatte, denn so muss sie nur die Hälfte zahlen: 3.127,41 €. Von den verbleibenden Einnahmen von 14.009,09 € muss sie auf den Grundfreibetrag von 10.347 € keine Steuern zahlen. Die übrigen Einnahmen von 3.662,09 € versteuert sie ungefähr mit dem Mindestsatz von 15 %. Sie zahlt ca. 550 € Steuern. Verena verdient also in diesem Jahr Netto 13.459 €. Sie weiß, dass ihre Rente nicht üppig ausfallen wird und dass sie in diesem Jahr wirklich Glück hatte, so viel arbeiten zu dürfen und nicht zu erkranken. Als Tochter einer Beamtin hat sie gelernt vorzusorgen, und deshalb hat sie schon vor langer Zeit eine staatlich geförderte zusätzliche Rentenversicherung und eine Arbeitsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Auch in diesem Jahr leistet sie sich die Beiträge von 3.000 €. Es bleiben ihr rund 10.500 € zum Leben.

Verdi fordert Basishonorare für selbstständige Kreative

Verdi hat sich mit diesem Thema schon länger befasst und Forderungen für Mindeststandards aufgestellt. Insbesondere wird gefordert, dass die öffentlichen Gelder, die selbstständige Kulturarbeit finanzieren, zu einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit und der Absicherung in sozialen Sicherungssystemen beitragen müssen. Ziel der Forderungen sind faire Honorare, die diesen Beitrag auch wirklich leisten, außerdem Vergütung für alle geleisteten Arbeitsstunden. Dazu hat Verdi ein transparentes Modell zur Berechnung von Basishonoraren entwickelt, das verbindlich in den Förderrichtlinien verankert werden soll. Als Grundlage zur Berechnung dient der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst. In einer Präsentation wird vorgerechnet, dass ein Workshoptag in Wirklichkeit drei Tage Arbeit sind, die mit 1.343 € vergütet werden müssten.

Fazit

Am Anfang stand die Frage, ob man von Bildungsarbeit in den Bundes- und Landesprogrammen zur kulturellen Bildung leben kann. Die Frage kann ich für die vorgestellten Programme eindeutig verneinen. Von 10.500 € kann eine Einzelperson unter normalen Umständen kaum die Kosten für Miete, Strom, Heizung und Lebenshaltung bestreiten.

Zwei Dinge fallen auf:

  1. Es werden Brutto-Honorare gezahlt. Wer umsatzsteuerpflichtig ist, ist also immer im Nachteil gegenüber Kleinunternehmern, für die das Brutto-Honorar dem Netto-Honorar entspricht. Wir reden immerhin von 19 % Unterschied in der Vergütung. Bei Gesprächen mit Bildungsträgern und Förderinstitutionen gibt es oft kein Bewusstsein für diesen Umstand. Ich arbeite nur mit zwei Institutionen zusammen, die die Umsatzsteuer berücksichtigen (nicht in Bundes- oder Landesprogrammen).
  2. In Bundes- und Landesprogrammen der kulturellen Bildung werden häufig Arbeitsstunden von Workshopleiter:innen nicht vergütet, obwohl allen klar ist, dass diese Stunden geleistet werden müssen und sie teilweise explizit eingefordert werden: Zeiten für Planung, Vernetzung, Vorbereitung, Nachbereitung etc. Die Praxis, nur die reinen Bildungsstunden zu vergüten, führt dazu, dass die Programme auf den ersten Blick attraktiv wirken. Erst bei genauer Kalkulation wird klar, dass die gezahlten Brutto-Honorare bezogen auf die geleistete Arbeitszeit deutlich geringer ausfallen.

Meine Erkenntnisse

Das Antragsaufkommen zu dem als Beispiel 1 geschilderten Programm ist aktuell sehr hoch, wie mir aus der Beratungsstelle für die Bundesprogramme „Kultur macht stark“ NRW berichtet wurde. Es gibt also genug Worshopleitende, die bereit sind, zu diesen Bedingungen zu arbeiten.

Ich frage mich, wer sich das leisten kann. Vielleicht zielen diese Programme ja nicht auf „Vollzeit-Workshopleiter:innen“, sondern auf Personen, die bereits ein gesichertes finanzielles Auskommen haben und einzelne Workshops eher aus Liebhaberei oder als Ehrenamt durchführen.

Generell wird in der kulturellen Bildung nicht das große Geld verdient. Ich selbst kann mir die Workshop-Arbeit auch nur leisten, weil ich verheiratet bin und wir durch das Einkommen meines Mannes über ein höheres gemeinsames Einkommen verfügen. Das ist der Klassiker, wie mir Bildungsreferentin Fleur Vogel von der LAG Kunst und Medien NRW e.V. erklärte. Oft hat sie es bei den Referent:innen mit sehr genügsamen Künstler:innen zu tun und/oder denjenigen, die neben ihrem "richtigen" Künstlerjob aus Liebe und Interesse an der Vermittlung und Weitergabe ihres Wissens Workshops durchführen. Eine weitere Gruppe sind  Newcomer, also junge Leute, die nach dem Studium/der Ausbildung erste Erfahrungen machen möchten. "Von den kulturpädagigischen Kräften in unseren Projekten sind vermutlich 65% Kleinunternehmer*innen. 35% weisen MwSt. aus", antwortet sie auf meine Frage zu dem Anteil derjenigen, die der Umsatzsteuerpflicht unterliegen. Bei den Honorarvereinbarungen der LAG Kunst und Medien NRW e.V. werden übrigens Vor- und Nachbereitungszeiten sowie Umsatzsteuerpflicht berücksichtigt.

In den Aussagen von Fleur Vogel sehe ich ebenfalls Hinweise dafür, dass die Programme in der kulturellen Bildung sich eher an Personen richten, die mit den Workshops kein auskömmliches Einkommen erzielen müssen. Wenn ich meine eigene Motivation erforsche, komme ich immer an die gleichen Punkte: Ich möchte Kindern und Jugendliche eine Stimme geben und sie dabei unterstützen, ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Ich mag die Kombination von Kreativität und Technik und möchte vermitteln, dass darin kein Widerspruch liegt. Ich habe Freude an der Arbeit mit allen Beteiligten und gebe mein Wissen und meine Fähigkeiten gerne weiter.

Aber bei allem Idealismus darf ich nicht übersehen, dass es einen hohen zeitlichen Einsatz erfordert, wenn ich meine Workshops professionell durchführen möchte und dass ich auch Verantwortung für meine finanzielle Vorsorge habe. Schließlich möchte ich im Alter ohne staatliche Unterstützung auskommen. Ich bin bereit, bei Vor- und Nachbereitungszeiten nicht jede Minute aufzuschreiben, aber kann ich es mir leisten, die Hälfte der Arbeitszeit oder mehr ohne Honorar zu arbeiten? Möchte ich als durchführende Workshopleiterin maßgeblich an Planung und Durchführung beteiligt sein und nicht mal als Bündnispartnerin gelten? Wie passt es eigentlich zusammen, wenn hohe Anforderungen an Workshopleitende gestellt werden, sie aber weder von ihrer künstlerischen Tätigkeit, noch von den Workshops gut leben und vorsorgen können? Warum werden starre Bundesprogramme mit immer höherem bürokratischem Aufwand aufgelegt und warum haben Bibliotheken und Museen nicht genug eigene Mittel und Freiheit, um bedarfsgerecht geplante Workshops mit Kindern und Jugendlichen durchzuführen? Diese Gedanken und Fragen haben mich beim Schreiben dieses Artikels beschäftigt.

Für mich hat sich durch die Recherche zu diesem Beitrag etwas verändert:

  • Solange die Praxis bestehen bleibt, nur die reinen Bildungsstunden zu honorieren, werde ich solche Programme für mich grundsätzlich nicht mehr in Betracht ziehen.
  • Ich halte die Praxis für irreführend, hohe Stundensätze anzugeben, die aber nur für einen Teil der Arbeit geltend gemacht werden können. Daher werde ich in Zukunft in meinem Newsletter und auch sonst niemandem mehr Programme empfehlen, in denen nur die reinen Bildungsstunden honoriert werden.
  • Mir ist klar geworden, dass Wertschätzung und gleichberechtigte Partnerschaften für mich ebenso wichtig sind wie die finanzielle Honorierung meiner Arbeit. Ich arbeite quasi halb-ehrenamtlich, aber doch mit einem hohen Anspruch an die Qualität meiner Workshops. Meine Expertise fließt bei jeder Beratung und Planung mit ein und wird von meinen Bildungspartnern geschätzt. Ich mag es sehr, gemeinsam gute und sinnvolle Projekte auf den Weg zu bringen. Ich möchte nicht aufgrund von vorher festgelegten Vorgaben und Stundenzahlen eine Planung erstellen, die ich selber für wenig sinnvoll halte.
  • Mir ist noch einmal sehr bewusst geworden, dass ich zwar steuerpflichtige Einnahmen habe und eigenständig wirtschaften kann, aber dennoch vom Einkommen meines Mannes abhängig bin und aus dieser Abhängigkeit auch niemals durch die Workshoparbeit herauskommen kann. Ist es da überhaupt eine gute Idee, steuerpflichtig zu arbeiten? Oder sollte ich nicht lieber versuchen unter den 22.500 € im Jahr zu bleiben und wieder Kleinunternehmerin zu werden? Mein nächster Prüfauftrag.
  • Ich werde noch genauer hinschauen, wie ein Förderprogramm letztlich vergütet wird und ob die Bedingungen für mich finanziell tragbar sind. Denn es gibt Förderprogramme, in denen Vor- und Nachbereitungszeiten als Arbeitszeit angerechnet werden. Sie entsprechen zwar längst nicht den Forderungen von Verdi, sind aber deutlich fairer als die hier betrachteten Bundes- und Landesprogramme.

Die Titelfrage meines Blogartikels lautet: Kultur macht stark? Meine Antwort darauf: Ja, ich habe berechtigte Hoffnung, dass das für die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen zutrifft. Für diejenigen, die freiberuflich diese Kulturarbeit leisten, gilt das eher nicht.

 

Ich danke allen, die in den letzten Wochen mit mir über dieses Thema diskutiert haben: Fleur Vogel, Birgit Hedemann, Annika Witzler, Alexandra Völker und Thomas Rings.

Lese-Empfehlung: Eva von Schirach hat 2017 im Deutschlandfunk einen sehr lesenswerten Bericht zu diesem Thema gemacht.

Hinweis: Ich bin keine Steuer-Expertin und habe die Berechnungen in diesem Blogartikel nach bestem Wissen gemacht. Sollte jemand bei den Berechnungen Fehler finden oder Ergänzungen als notwendig erachten, würde ich mich über eine kurze Nachricht freuen.


ÜBER Die AUTORIN

Autor

Andrea Rings

Andrea Rings ist Biologin, Jugend- und Sachbuch-Autorin und Workshopleiterin. Sie führt seit 2016 Workshops mit Kindern und Jugendlichen durch: Kreative Schreibwerkstätten, digitale Comic-Workshops mit dem iPad, Tagtool, Stop-Motion und andere iPad-Workshops. Sie hat Easy Comics gegründet, um ihr Wissen und ihre Erfahrungen aus diesen Workshops weiterzugeben. Hier erfährst du mehr über Andrea Rings.

Melde dich an für die kostenlose iPad-Sprechstunde!

Am 29. April geht es um Green Screen-Projekte mit dem iPad.

Lade dir hier dein Gratis-Mini-E-Book herunter:

So erzählst du Geschichten mit dem iPad!

völlig kostenlos!

Lade dir hier deine Gratis-Sicherheits-Checkliste für dein iPad herunter!

So schützt du dein iPad in 12 Schritten.

© FunnelCockpit

Blog erstellt mit FunnelCockpit